Die neue EU-Energieaußenpolitik: Ein wichtiger Schritt - wenn es nicht zu spät ist | Von Dr. Alexander Mirtchev

Mit der Verabschiedung ihrer neuen Energieaußenpolitik hat die EU endlich einen ersten Schritt in Richtung ihrer Integration als einheitlicher Verhandlungsblock auf dem Weltenergiemarkt getan. Damit könnte die Energieaußenpolitik zu einem wichtigen Faktor für die globale Energiesicherheit und zu einem möglichen geopolitischen Spielveränderer werden. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die großen EU-Mitgliedstaaten bereit sein werden, ihre Interessen dem allgemeinen EU-Interesse unterzuordnen. Die Energieaußenpolitik kommt wahrscheinlich fünf Jahre zu spät, argumentiert Alexander Mirtchev, Präsident der Krull Corp. und Vizepräsident des Royal United Services Institute for Defence and Security Studies.


Die neue EU-Energieaußenpolitik: Ein wichtiger Schritt - wenn es nicht zu spät ist

Von Alexander Mirtchev

Mit der Verabschiedung ihrer neuen Energieaußenpolitik hat die EU endlich einen ersten Schritt in Richtung ihrer Integration als einheitlicher Verhandlungsblock auf dem Weltenergiemarkt getan. Damit könnte die Energieaußenpolitik zu einem wichtigen Faktor für die globale Energiesicherheit und zu einem möglichen geopolitischen Spielveränderer werden. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die großen EU-Mitgliedstaaten bereit sein werden, ihre Interessen dem allgemeinen EU-Interesse unterzuordnen. Die Energieaußenpolitik kommt wahrscheinlich fünf Jahre zu spät, argumentiert Alexander Mirtchev, Präsident der Krull Corp. und Vizepräsident des Royal United Services Institute for Defence and Security Studies.

Im ersten Quartal 2011 importierte Europa sage und schreibe 896 Millionen Barrel Öl im Wert von über 92 Milliarden US-Dollar. Darüber hinaus beliefen sich die Gasimporte im ersten Quartal 2011 auf 1.390 TWh, was einem Anstieg von über 7,5 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Quartal entspricht und einen Wert von über 50 Milliarden Euro zu Industriepreisen hat. Als Nettoimporteur von Energie ist die EU seit langem mit der Tatsache konfrontiert, dass der Großteil dieser Importe aus einer begrenzten Anzahl von Quellen stammt - vor allem aus Russland und Afrika. Diese Abhängigkeit bringt Herausforderungen mit sich: eine mögliche Fragmentierung des Binnenmarktes, eine instabile Versorgung und eine geringere Wettbewerbsfähigkeit. In einigen wenigen Fällen ist es zu echten Engpässen gekommen, wie im Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine 2009. Die Harmonisierung der externen Dimension der EU-Energiepolitik steht daher ganz oben auf der Tagesordnung.

Die neue "Mitteilung" über "Energieversorgungssicherheit und internationale Zusammenarbeit" (offizieller Titel: "Die Energiepolitik der EU: Zusammenarbeit mit Partnern jenseits unserer Grenzen"), die am 7. September von Energiekommissar Günther Oettinger vorgestellt wurde, zielt darauf ab, die Europäische Kommission zu einem Beobachter und (in begrenztem Umfang) zu einem Schiedsrichter der externen Energiepolitik der Mitgliedstaaten zu machen. Um diese Umwandlung zu erreichen, stützt sich die Politik auf die Schaffung eines neuen institutionellen Rahmens, der einen "Mechanismus für den Informationsaustausch" vorsieht, um innerhalb der EU Informationen über alle bilateralen, "zwischenstaatlichen" Energievereinbarungen, die die Mitgliedstaaten mit Nicht-EU-Ländern treffen, auszutauschen. Der Vorschlag fügt hinzu, dass "die Kommission eine Ex-ante-Bewertung der Konformität eines zukünftigen zwischenstaatlichen Abkommens mit dem EU-Recht vornehmen kann, bevor ein solches Abkommen unterzeichnet wird."

Der Vorschlag zielt außerdem darauf ab, groß angelegte Infrastrukturprojekte zu erleichtern und zu fördern, die Energieversorgungsquellen und -wege zu diversifizieren und den EU-Energiemarkt mit den benachbarten (Nicht-EU-)Märkten zu integrieren. Alles in allem schlägt die Politik vor, die EU-Exekutive in den Mittelpunkt des energiepolitischen Geschehens zu stellen.
Diese Entwicklung hin zu einer einheitlichen Haltung gegenüber den Energieverbrauchern könnte der EU ein größeres Mitspracherecht in Fragen der globalen Energiesicherheit verschaffen und dazu beitragen, viele externe Energieschocks abzufedern
Es spricht viel für diesen neuen Ansatz. Eine einheitliche Politik könnte die divergierenden Interessen, Strategien und Anforderungen einer großen Zahl unterschiedlicher europäischer Volkswirtschaften vereinen. So könnte sie zu effizienteren wirtschaftlichen Ergebnissen führen, die Preisvolatilität verringern und die politische Stabilität stärken, was sich positiv auf die regionale und globale Energiesicherheit und das geopolitische Gleichgewicht auswirken würde. Vor allem aber könnte eine einheitliche Energiepolitik den Einfluss der EU und ihrer Mitgliedstaaten auf dem globalen Energiemarkt stärken, denn je größer ein Land oder ein Block ist, desto mehr Einfluss hat er auf dem Markt, und Größe bedeutet "wirtschaftliche" und "militärische Macht" (wie der Philosoph Will Durant in "The Lessons of History" feststellte). Durch die Stärkung des EU-Energiebinnenmarktes und die Schaffung der Möglichkeit, Energiegeschäfte der Mitgliedstaaten zu überwachen und voranzutreiben, könnte die neue Politik die EU mit einer neuen Macht auf den globalen Energiemärkten ausstatten, die größer ist als die Summe ihrer Teile. Diese Entwicklung hin zu einer einheitlichen Haltung als Energieverbraucher könnte die EU in die Lage versetzen, ein größeres Mitspracherecht in Fragen der globalen Energiesicherheit zu erlangen, und könnte dazu beitragen, viele externe Energieschocks abzufedern.

Das gilt natürlich nur, wenn die neue externe Energiepolitik jemals Realität wird - was ein großes "wenn" ist.

Das Gefangenendilemma

Die Frage ist, wie die neue Politik in der Praxis umgesetzt werden kann. Ein Hauptziel der Politik ist die Schaffung eines neuen Rahmens für die Zusammenarbeit mit Partnern außerhalb der EU, der die Energiebeziehungen über die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten stellt. Dies könnte als ein Anspruch der EU betrachtet werden, ein neuer Hauptakteur auf dem globalen Energiemarkt zu werden, mit der Europäischen Kommission an der Spitze.

In gewisser Weise ist dies eine Entwicklung, die bereits seit einiger Zeit im Gange ist. Seit 2009 ist die Europäische Kommission dafür zuständig, die Energieversorgungssicherheit der EU zu gewährleisten, den Verbund der Energienetze zu fördern und die Energieeffizienz und -einsparung zu verbessern. Seit einiger Zeit betreibt die EU Pipeline-Politik", indem sie versucht, die Energierouten weg von Russland zu diversifizieren, und zwar durch den so genannten Südlichen Gaskorridor und insbesondere durch die Nabucco-Pipeline, die kaspisches Gas direkt nach Europa liefern würde. Allerdings hat diese Mission bisher nicht zu konkreten Vereinbarungen mit externen Lieferanten und Partnern geführt. Stattdessen haben die Mitgliedstaaten bilaterale Beziehungen aufgebaut und einzelne Energieabkommen geschlossen, die die Gesamtziele der Kommission unterstützen oder auch nicht und die im Interesse aller Mitgliedstaaten sein können oder auch nicht.

Eine der wichtigsten Fragen für die neue Politik ist daher, wie sie dem Anreiz für die Regierungen der Mitgliedstaaten entgegenwirken kann, weiterhin unilaterale Maßnahmen zu ergreifen, um ihre individuellen Energiesicherheitsziele zu erreichen. Die Antwort auf diese Frage ist alles andere als klar. Die Politik ist derzeit nicht bindend, während für eine erfolgreiche Umsetzung eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Kommission angezeigt erscheint. In jedem Fall muss die Politik so in die gemeinsame Politik der EU umgesetzt werden, dass sie nicht den bereits etablierten geopolitischen Haltungen der Mitgliedstaaten gegenüber Drittländern zuwiderläuft. Keine leichte Aufgabe.

Die Politik wird zweifellos Widersprüche zwischen den angestrebten Ergebnissen und den bestehenden Positionen einzelner Mitgliedstaaten aufzeigen, die zuvor möglicherweise vorteilhafte Vereinbarungen mit Energielieferanten getroffen haben. Da die Politik das Potenzial hat, die geopolitischen Vorteile, die einzelne Mitgliedstaaten aus bilateralen Energiebeziehungen ziehen konnten, neu zu definieren, muss sie einen Ersatz für diese Vorteile bieten, der einen gewissen Ausgleich für die Mitgliedstaaten darstellt, die durch die neuen Initiativen zu verlieren drohen. Dies wird angesichts des Kaleidoskops wirtschaftlicher und politischer Interessen sowohl der EU-Mitgliedstaaten als auch ihrer externen Energielieferanten nicht leicht zu erreichen sein. Die Politik wird in der Praxis an das Zusammentreffen geopolitischer und wirtschaftlicher Erfordernisse angepasst werden müssen, die in den kommenden Monaten und Jahren wahrscheinlich ganz oben auf der internationalen Agenda stehen werden - vom Wirtschaftswachstum und den Problemen der Staatsverschuldung bis hin zur globalen Hackordnung, die derzeit im Wandel begriffen ist. Ob die Europäische Kommission dazu in der Lage ist, bleibt abzuwarten.

In der Tat ist Energie Teil der bestehenden Beziehungen und Vereinbarungen, die die europäische Politik schon vor dem Zweiten Weltkrieg geprägt haben. Ein Paradigmenwechsel in der Energiegeopolitik wird zweifellos auf den Widerstand der großen und einflussreichen Mitgliedstaaten wie Deutschland, Großbritannien und Frankreich stoßen, die diese Politik als Eingriff in ihre Souveränität empfinden könnten.

Es besteht das Risiko, dass die Politik dazu führt, dass einige externe Lieferanten verprellt werden.

Diese Länder sind möglicherweise nicht bereit, den geopolitischen Vorteil bestehender bilateraler Vereinbarungen mit bestimmten dritten Energielieferanten aufzugeben. So ist beispielsweise unklar, wie sich die neue Politik auf die Entscheidungen europäischer Staats- und Regierungschefs wie Frankreichs Nicolas Sarkozy und Großbritanniens David Cameron auswirken könnte, ihre Länder in Entwicklungen mit Energielieferländern wie Libyen einzubeziehen. Und würde sich Angela Merkel auf neue, zentral definierte Ansätze für die deutsch-russischen Beziehungen einlassen, wo doch die bisherigen bilateralen Vereinbarungen Deutschland wahrscheinlich ebenso viel gebracht haben wie Russland?

Die Politik scheint eine ähnliche Wahlmöglichkeit wie beim klassischen Gefangenendilemma zu bieten. Wenn die Spieler einander vertrauen und sich für eine kooperative Vereinbarung entscheiden, können sie ein Ergebnis erzielen, das für die Gruppe als Ganzes am besten ist. Der Anreiz für einen "Vorreiter", sich von der gemeinsamen Position zu lösen und einen erheblichen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, ist jedoch sehr groß. Das übliche Ergebnis des Gefangenendilemmas ist, dass alle Spieler versucht sind, das beste persönliche Ergebnis für sich selbst zu erzielen, was dazu führt, dass alle schlechter gestellt sind. Dies könnte auch in diesem Fall geschehen.

Um allgemein akzeptiert zu werden, muss die Politik von allen Mitgliedstaaten als vorteilhaft angesehen werden (oder sie muss Sanktionen für die Nichteinhaltung vorsehen). Derzeit ist jedoch unklar, wie bei der Anwendung der Regulierungsmechanismen zwischen den unterschiedlichen Interessen und dem Marktgewicht größerer und kleinerer Länder unterschieden werden soll bzw. ob eine solche Unterscheidung überhaupt vorgenommen wird. Es ist wichtig, daran zu denken, dass die EU-Mitglieder nicht identisch sind und eine gemeinsame energiepolitische Haltung, die auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert wird, von bestimmten Staaten als nicht vorteilhaft angesehen werden könnte. In ihrer jetzigen Form scheint die Politik für die Mitgliedstaaten einen ebenso großen Anreiz zu bieten, sie zu umgehen, wie sie einzuhalten.

Vorteile für Zulieferer

Damit die neue Politik ein Erfolg wird, muss sie auch die Lieferanten einbeziehen und sie zu Beteiligten an der künftigen Energiesicherheit Europas machen. Die Politik konzentriert sich auf den Ausgangspunkt, einen spezifischen Dialog und Partnerschaften mit externen Lieferanten aufzubauen. Ein Beispiel dafür ist die Aushandlung eines Vertrags zwischen der EU, Aserbaidschan und Turkmenistan über den Bau eines transkaspischen Pipelinesystems, die die Europäische Kommission auf sich genommen hat. Initiativen dieser Art bieten den Lieferanten einen erweiterten und stabilen Markt.

Generell lässt die Politik jedoch nicht klar erkennen, welchen zusätzlichen Nutzen sie für diese Lieferanten hat. Infolgedessen besteht die Gefahr, dass die Politik einige von ihnen verprellt oder sogar als Versuch angesehen wird, sie zu zwingen, den Wettbewerbsvorteil aufzugeben, den ihre natürlichen Ressourcen bieten. Von den Energieexporteuren zu erwarten, dass sie auf diesen Wettbewerbsvorteil verzichten, ist nicht realistisch und könnte sogar kontraproduktiv sein. Sollten die Energielieferanten der EU feststellen, dass die Politik ihren Interessen schadet, könnten sie versucht sein, jeden wahrgenommenen Schaden zu beheben, indem sie direkt mit bestimmten Mitgliedstaaten in Kontakt treten und ihnen Schmeicheleien anbieten, die sich als zu süß erweisen könnten, um sie zu ignorieren, was wiederum zu dem negativen Ergebnis des Gefangenendilemmas führen würde.
Die Mechanismen zur Umsetzung der Politik müssen daher weiter verfeinert werden, um Anreize für die Energielieferanten zu schaffen, sich in die Politik "einzukaufen". Anreize könnten in Form von bilateralen Vereinbarungen zwischen externen Anbietern und der EU über die Entwicklung von Energieanlagen und -infrastrukturen sowie von Vereinbarungen über den Technologietransfer bestehen, die den Energieexporteuren langfristig zugute kommen würden. Alternativ könnten die Anreize auch außerhalb des Energiebereichs liegen und von den spezifischen Interessen der externen Länder und den entsprechenden Bedürfnissen der EU als einheitlichem Energieverbraucher bestimmt werden.

Politische Absichten

Die Unklarheit über die Auswirkungen der Energieaußenpolitik in ihrer Anfangsphase, die für ähnliche politische Maßnahmen von Bedeutung nicht ungewöhnlich ist, wird durch die Art des derzeitigen globalen Energiesystems und dessen Schwerpunkt auf der Sicherung des Zugangs zu Öl und Gas noch verstärkt. Der vorherrschende politische Ansatz der Länder zielt darauf ab, die Kontrolle über die Energieversorgung oder die "Energieunabhängigkeit" als ein Gebot der nationalen Sicherheit zu erlangen. In der Politik wird zwar die Bedeutung der "Interdependenz" erwähnt, aber sie basiert immer noch überwiegend auf den traditionellen Vorstellungen von der Diversifizierung der Versorgungsquellen bei gleichzeitiger Verringerung der Abhängigkeit von Öl und Gas. Eine stärkere Betonung der Interdependenz könnte zu positiven Ergebnissen führen. Die Politik erwähnt zwar die Bedeutung nachhaltiger Energielieferungen (z. B. aus Afrika) in der Zukunft, aber es könnte beispielsweise notwendig sein, die Position der EU gegenüber alternativen Energie-Megaprojekten zu erweitern, damit sie auch in Zukunft wirksam bleibt, wenn nicht-fossile Energieformen eine wichtigere Rolle in der Energiebilanz der EU spielen könnten.

Die neue externe Energiepolitik ist sowohl eine politische als auch eine wirtschaftliche Absichtserklärung. Obwohl politische Maßnahmen wie die neue Energieaußenpolitik selten zu den ursprünglich erklärten oder erwarteten Ergebnissen führen, stellt die Politik selbst ein klares Signal an die Märkte dar - die EU will ein einheitlicher Verbraucherblock werden, der direkt mit den wichtigsten externen Lieferanten in Kontakt tritt. Unabhängig davon, wie sie sich in der Praxis entwickelt, ist sie ein wirtschaftliches und geopolitisches Signal, das eine wichtige Entwicklung ankündigt. Zweifellos stellt die Politik einen neuen Baustein dar, der sich relativ unauffällig in das breitere Geflecht der Politiken einfügt, die die Entwicklung der Europäischen Union untermauern und den EU-Energiebinnenmarkt definieren werden. Die Politik hat somit das Potenzial, die politische und energiepolitische Landschaft in Europa und darüber hinaus zu verändern. Allein ihre Existenz könnte die energie- und geopolitischen Gleichgewichte des 21. Jahrhunderts verändern.

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